Der Tag verlief ruhig. Es gab keinen moskowitischen Beschuss in Charkiw. Gegen Abend gab es Gewitter. Den Donner vom Abschuss oder von einem Treffer zu unterscheiden war ziemlich leicht. Und meine Ängste erwiesen sich als vergeblich.
Dafür dauert der raschistische Beschuss nördlich von Charkiw weiter: Rusjka Losowa, Tsyrkuny, Derhatschi und Dörfer um Derhatschi, die Dörfer der Dorfgemeinde Solotschiw, Tschuhujiw. In dem letztgenannten Ort wurden zwei Personen verwundet, der eine von beiden ist ein 15-jähriger Junge. Während des Beschusses der Siedlung Staryj Saltiw kam ein Mann um.
Mehrere Menschen kehren nach Charkiw zurück, jetzt gibt es viel mehr Autos, aber das Spritproblem bleibt. Mehrere Abteilungen des Postlieferdienstes „Nowa Poschta“ werden in der Stadt wieder geöffnet. Natürlich sind es nur einige Abteilungen und in den Stadtvierteln, wo mehrere Häuser beschädigt sind, wie Nord-Saltiwka, Horizont, Pjatychatky, können die Nowa-Poschta-Abteilungen nicht geöffnet werden.
Die Stadtverwaltung machte die Liste der Verkehrslinien bekannt – 4 Straßenbahnlinien, 8 O-Bus-Linien, 25 Buslinien. Diese Verkehrsmittel werden ab Montag allmählich eingeführt. Der Stadtverkehr soll von 7 Uhr morgens bis 19 Uhr abends kursieren und wird in den ersten zwei Wochen kostenlos.
Unser Hauptproblem jetzt ist, dass die kommunalen Kommunikationen die Belastung aushalten. Heute wurde zum ersten Mal seit dem Kriegsbeginn Information über einen gewöhnlichen Brand publiziert, also nicht infolge eines Geschosstreffers, sondern durch den leichtsinnigen Umgang mit Feuer. Ein Flashback der „Normalität“ würde ich die Geschichte bezeichnen.
Es fällt nicht schwer, die Menschen, die diese zweiundeinhalb Monate in der Stadt geblieben sind, von den Menschen, die gerade erst zurückgekehrt sind, zu unterscheiden. Man soll den Neuankommenden die Sicherheit, die jetzt in Charkiw normativ ist, erst beibringen. Sie sollen lernen, dass es Informationen gibt, die man öffentlich nicht tauschen darf, damit menschliche Leben gerettet werden können.
Charkiwer Musikanten “Prime Orchestra” touren in Europa mit dem Konzertprogramm “Stand with Ukrainе”, um das Geld für den Bedarf der Streitkräfte zu sammeln. Für das einmonatige Tournee sind 12 Konzerte geplant. Die ersten Konzerte fanden bereits in Estland und Polen statt.
Die Direktorin der Gedenkstätte Drobytskyj Jar, einer Schlucht, wo die zweitgrößte Gruppe Juden während Holocaust erschossen wurde, bis 20 Tausend Personen, meint, dass man einige Folgen des Beschusses der Gedenkstätte für die kommenden Generationen lassen sollte – als Erinnerung an die raschistische Invasion.
Die Dorfbewohner des Dorfes Rusjka Losowa, das über zwei Monate unter russischer Besatzung war, wollen das Adjektiv „rusjka“ aus dem Toponym entfernen, weil hier in Grenzgebieten „Rusjki“ eben moskowiter traditionell genannt werden. Das Dorf wurde ja in der Mitte des 17. Jh. von moskowitern gegründet, die die südlichen Grenzen des moskauer Zarenreiches verteidigen sollten. Neben diesem Dorf liegt das Dorf Tscherkaska Losowa, und bis zum Beginn des 18. Jh. wurden in moskowien Ukrainer und ukrainische Kosaken „Tscherkasen“ genannt, und erst später, unter dem Peter dem Großen, fing man an, die Ukrainer „Kleinrussen“ zu nennen.
Im besetzten Wowtschansk hatten die Invasoren gleich am ersten Tag der Besatzung ihre dreifarbige Fahne gehisst, dann kam ein älterer Herr und hiss die Flagge ab. Am nächsten Tag wiederholte sich die Geschichte, danach verschwand der ältere Herr.
Außerordentlich schwierig ist die Situation in Mariupol. raschisten führen nicht enden wollende Attacken durch, es werden ergebnislose Versuche unternommen, über die Rettung der Verwundeten zu verhandeln. raschisten wollen diese spektakuläre Vernichtung der Verteidiger der Stadt Mariupol erreichen als Rache dafür, dass die Stadt sich nicht ergeben wollte.
Zu den lustigen Nachrichten gehört es, dass die moskowiten ihre Nachrichten in besten nordkoreanischen Traditionen beleuchten. Ich erinnere mich, wie wir lachten als die Nordkoreaner in ihrem Fernsehsender behaupteten, sie würden die Fussballweltmeisterschaft gewonnen haben. Jetzt ist es nicht sonderlich anders. Sie schreiben sich alles zu, was die ukrainischen Streitkräfte erreichen – Objekte vernichten, Flugzeuge abschießen, ganze Militäreinheiten vernichten. Soll das bedeuten, dass es bei ihnen so knapp mit eigenen Kampfleistungen wäre?
Kalush Orchestra hat im Eurovision Song Contest gewonnen. Ihr Sieg ist absolut verdient – wegen der Show und des Liedes selbst. Aber auch ist ihr Sieg der Ausdruck der politischen Unterstützung unseres Landes in Europa. Dass das Publikum 439 Stimmen von 468 möglichen abgegeben hat, ist ein einmaliger Rekord in der Geschichte dieses Wettbewerbs. Außerdem konnten unsere Jungs über die Notwendigkeit das Militär und die zivilen Menschen vom Asowstal zu retten. Das von Anfang bis Ende auf Ukrainisch gesungene Lied hat gewonnen. Dabei haben wir alle gewonnen – mit unserem Mut und Ungebrochenheit. Das ist ein wichtiger, vor allem moralischer Sieg, der Europa helfen kann, dazu beizutragen, dass der nächste Wettbewerb in der Ukraine durchgeführt wird.
Wir sind unseren Verteidigern für noch einen Lebenstag dankbar, für das Zurückdrängen der Invasoren aus Charkiw und für die Verteidigung im Donbas. Wir glauben an die ukrainischen Streitkräfte! Wir glauben an die Ukraine!
Serhij Petrow