Charkiw. Chronik des Angriffs auf die Stadt, der 10. Tag (05.03.2022)

Heute habe ich mich fast vollständig erholt und bin zur Besinnung gekommen. Da, wo ich bin, ist ziemlich ruhig, daher ist kein Kriegsnerv zu spüren, obwohl im Alltag absolut alles wie sonst in der Stadt aussieht.
Charkiw kämpft seit zehn Tagen. Es kommt wie Ewigkeit vor. Die Stadt leistet Widerstand und baut sein Schutzsystem auf.

Die Territorialverteidigung der Region Charkiw ist zu 200% vollständig. Dabei werden nur diejenigen eingeschrieben, die über eine Kriegserfahrung verfügen. Viele Anträge wurden einfach abgelehnt. Sowohl Moskowiter als auch westliche Analytiker konnten aus diversen Informationsfragmenten die wirkliche Stimmung in der Stadt einfach nicht begreifen. Meiner Meinung nach war solch ein Widerstand zu erwarten. Was aber unerwartet war, das ist die Geschwindigkeit, mit der der unentschlossene „Sumpf“ unter der Bevölkerung seine mehr oder weniger korrekten Schlussfolgerungen über die Moskowiter gezogen hat.

Die Nacht begann mit Luftangriffen. Die Russen bombardierten die Gegend von Klotschkiwska (in der Slobozhanska-Brigade der Nationalgarde gibt es leider vier tote und einige verwundete Soldaten), Kulinytschi, Sortyrowka (dort traf es ein seit 20 Jahren verlassenes Gebäude, das der Polizei gehörte), Rohan, Saltiwka, Zhukowski-Siedlung – in einem Bogen rund um die Stadt, um den Eindruck zu erwecken, die Stadt sei umzingelt, obwohl es nicht der Fall ist: Die Moskowiter stehen im Norden, einige von ihnen haben sich im Westen der Stadt eingegraben. Von anderen Seiten gibt es keine!

Am Tag traf erneut ein russisches Flugzeug ein und bombardierte den Sportkomplex der Karazin-Universität „Unifecht“ im Zentrum der Stadt. In den nahe gelegenen Wohngebäuden und Businesszentren wurden Fenster eingeschlagen.

Heute war der russische Beschuss intensiver als gestern. Besonders heiß ist es wieder Saltiwka, Saltiwka Nord, Rohan, Horizont, Nowi Budynky und die Zhukowski-Siedlung. Nach Angaben des Stadtrats ist die Wiederherstellung der Heizung in den Stadtteilen Zhukowski, CHAI, Pomirky sowie MZhK “Internationalist” (Krytschewskoho) erst nach dem Krieg möglich. Die Leitungen sind dort total zerschmettert.
Äußerst hart wurden heute die Wohnsiedlungen Saltiwka Nord und Saltiwka getroffen. Dort wurden Wohnhäuser mit Raketen „Grad“ und Granaten beschossen. Der Beschuss in Saltiwka geht immer tiefer, die Schläge treffen gezielter auf Wohnhäuser. In „tschechischen“ Häusern brennen auf einmal einige Stockwerke ab, denn die Feuerwehr kommt nicht immer sofort wegen zahlreicher Einsätze und wegen des Beschusses. In den 16-stöckigen Hochhäusern werden einige Wohnblocks auf mehreren Stockwerken zugleich ausgeschlagen. Solche Hochhäuser wird man nachher nur abreißen können. Die Zahl der beschädigten Häuser ist beeindruckend. Das ganze Saltiwka Nord, wenn es weiterhin so beschossen wird, wird abreißbereit sein … Und das sind fünf oder sechs Wohnbezirke, sogar mehr, wenn die Intensität der Zerstörungen nicht nachlässt …

Auch mein Haus traf es leider gestern Nachmittag. Mehrere Treppenhäuser brannten nieder, die Obergeschosse sind total zerstört. Ich habe keine genauen Informationen über den Zustand meiner Wohnung, aber es gibt wenig Hoffnung, dass es dort noch etwas bleiben ist… Traurig, aber es war zu erwarten. Nun ist die ganze Sache für mich persönlich geworden. Und ich werde mein Bestes tun, um mich zu rächen. Ich werde Mittel und Wege finden. Und ich bitte unsere Soldaten (die mich lesen), für mich ein Dutzend Orcs zu „Last 200“ zu verarbeiten. Danke schön!
Gegen Abend ließ die Aktivität der Moskowiter etwas nach, und nun ist es hier relativ ruhig. Die Invasoren wurden heute in der Region Charkiw, in der Nähe der Straße nach Sumy an die Staatsgrenze zurückgedrängt. Und die Gruppe, die von Wowtschansk nach Schewtschenkowe, dann nach Balaklija hin und her zog, versuchte, nach Izyum zu gehen, und dann gingen sie in Richtung Dnipro. Unsere Soldaten haben sie lange „gehütet“ und in den operativen Raum gelockt, um anzubraten. Heute sollen sie annihiliert worden sein. Gut so.

Es ist erfreulich, dass Menschen in vielen von russischen Invasoren besetzten Städten und Gemeinden in den Gebieten Cherson, Luhansk und Saporischschja friedlich für die Ukraine protestieren und einen aktiven Druck auf Moskowiter ausüben. Die Invasoren halten es offensichtlich nicht mehr aus und beginnen bereits auf die Zivilisten zu schießen, wie es in Nowopskow in der Region Luhansk geschehen ist. Noch mehr Kriegsverbrechen. Die Verletzung des Waffenstillstandes trotz der Vereinbarung über grüne Korridore – das zeugt ebenso von der Unzuverlässigkeit der Russen und der Notwendigkeit, noch härterer Sanktionen gegen sie einzuführen und noch mehr Militärhilfe für die Ukraine zu leisten. Die Menschen tun dabei leid, diejenigen, die beim Versuch, aus Mariupol und Wolnowacha zu fliehen, verletzt werden, diejenigen, die in einer freien Welt leben wollen.
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass der Bürgermeister von Charkiw, der geile Terech, mit jedem Tag immer mehr ukrainische Rhetorik verwendet, obwohl er immer noch ausschließlich Russisch spricht. Angefangen hat er mit der Rhetorik „Wir sind aus Charkiw, wir sind für den Frieden“. Aber jetzt dankt er der Armee, lobt sie, ist stolz darauf, spricht über das ukrainische Charkiw, dass die Stadt sich nie ergeben wird, dass Charkiw zur Ukraine gehört usw.

Der Darwin-Preis geht heute an die russischen Luftstreitkräfte im Süden der Ukraine, die unbedingt in unseren Luftraum einbrechen wollen und dabei jedes Mal hart abgewiesen werden. Innerhalb eines Tages wurden die russischen Flugzeugbestände um neun Stück reduziert. Ruhm und Ehre den ukrainischen Luftstreitkräften und unserer Flugabwehr! Das, was sie tun, ist vor allem sehr spektakulär!
Für noch einen vergangenen Tag danke ich den Ukrainischen Streitkräften, der Nationalgarde, Territorialverteidigung, Medizinern, Freiwilligen, Rettern, Mitarbeitern der Versorgungsunternehmen, allen, die unsere Soldaten unterstützen. Wir vertrauen und helfen unserer Armee! Wir werden siegen!
Serhij Petrow

Foto: 2day.kh.ua

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історик, аналітик Інформаційного Центру "Майдан Моніторинг" (сайт "Майдан"), громадський активіст, редактор української Вікіпедії