Charkiw. Chronik des Angriffs auf die Stadt, der 15. Tag (10.03.2022)

Die dritte Woche der Verteidigung von Charkiw hat angefangen. Hier, in Charkiw haben wir uns an ständigen Beschuss und sich wiederholende Luftangriffen allmählich gewohnt. Es ist zu einem Teil unseres Alltags geworden, für diejenigen, die in der Stadt geblieben sind.

Foto: Zerstörungen in der Innenstadt von Charkiw, die Hauptverwaltung des Staatlichen Notdienstes der Ukraine

Die heutige Nacht verging relativ ruhig, obwohl Luftschutzalarm mehrmals erklang (ich habe eine entsprechende App installiert – es ist sehr nützlich). Im Halbschlaf hörte ich einige Explosionen donnern, aber irgendwo weit weg. Gestern schrieb ich über das angeschlagene Einkaufszentrum „Nikolskyj“ – es hat sich erwiesen, dass es nicht vom Flugzeug, sondern von einem Mehrfachraketenwerfersystem Smetrsch (Tornado) getroffen wurde. Das Dach ist beschädigt und der 3. Stock abgebrannt, weil die Rakete innen explodiert hat. Generell sind die Beschädigungen unbedeutend, aber Innenräume und Dachflächen sind renovierungsbedürftig. Es gibt auch schon Bestätigungen, dass dass Moskaupöbel die Gasleitungen zunächst angeschlagen und am Morgen komplett zerstört haben. Ein Drittel der Stadt hat nun Probleme mit Gasversorgung. Und das bei Minustemperaturen.

Am Morgen ging der Beschuss weiter, sogar intensiver als am Vortag. Das Ziel waren Wohnsiedlungen Saltiwka (wenn es in diesem Tempo weiter geht, so werden bald Saltiwka Nord und die angrenzenden Wohnviertel komplett abgerissen werden müssen), Zhukowskyj-Siedlung, Pjatychatky, Oleksijiwka und Pawlowe Pole, Horizont, Rohan und Traktorwerk. Schon wieder wurde der unregelmäßige Rhythmus angewendet – aktiver Beschuss morgens und bis 14 Uhr (die App meldete Luftalarm in dieser Zeit ca. sechs Mal), dann Pause und dann noch ein Beschuss um 18-19 Uhr. Ziemlich stark hat es Oleksijiwka und Pawlowe Pole getroffen. Und am Abend wurden wieder Pjatychatky angeschlagen – den offiziellen Angaben nach wurden da ein Wohnheim und das Umspannwerk getroffen, von dem dieser ganze Stadtteil mit Strom versorgt wurde. Nun ist in diesem Wohnbezirk der Strom ausgefallen…

Wieder wird in der Nähe von Tschuhujew gekämpft. In der Nacht wurde in Tschuhujew die regionale Verwaltung des Ukrainischen Sicherheitsdienstes zerbombt; beschädigt sind mehrere Wohnhäuser und eine Schule.

Nach Angaben der Stadtverwaltung sind über 400 Mehrfamilienhäuser beschädigt, die Polizei dagegen spricht von der Beschädigung von ca. 400 Mehr- und Einfamilienhäuser. Der Unterschied besteht wohl darin, dass der Stadtrat auch eingeschlagene Fenster ohne zerstörte Balkone mitzählt, und die Polizei nur mechanische oder andere schwere Beschädigungen. Die Polizei kann nicht alles untersuchen – ihre Ressourcen und auch die Ressourcen des Sicherheitsdienstes reichen nicht aus, um alle Schaden zu dokumentieren.
Somit sucht jetzt der Ukrainische Sicherheitsdienst nach Betroffenen und Zeugen des russischen Angriffs auf die Ukraine, insbesondere geht es um die Personen, die wegen des Beschusses obdachlos geworden sind oder mit eigenen Augen den Beschuss ziviler Objekte gesehen haben. Es ist sehr wichtig, alle diese Tatsachen zu fixieren und die Umstände zu ermitteln. Mit einem Wort, haben Sie keine Angst. All diese Zeugnisse werden auch als Beweismaterial für den Haag vorbereitet, und Sie bekommen die Möglichkeit, nach unserem Sieg eine Entschädigung von Russland zu verlangen.

Heute wurde in Charkiw Warmwasser abgeschaltet: da eine bedeutende Temperatursenkung erwartet wird, werden alle Ressourcen auf Heizung gerichtet. Nach Angaben des Stadtrates gibt es in über 350 Häusern (Zhukowskij-Siedlung, Pomirky, Wohnkomplex “Internationalist”, fünf Wohnviertel von Saltiwka Nord, ein Teil der Wohnsiedlung Schidnyj/ Stadteil Traktorwerk, einige Häuser in Piwdenno-Sachidnyj, die Umgebung von der Panzerschule, ein Teil von Kulinytschi) keine Heizung und ihre Erneuerung ist erst nach dem Krieg möglich. Und es werden immer mehr und mehr solche Häuser und Wohnsiedlungen dazu kommen… Leider wird das Problem mit der Versorgung der Wohnhäuser in diesem Sommer und im nächsten Winter sehr ernst sein… Ob Charkiw nach dem Sieg weiterhin eine Millionenstadt bleibt, ist zweifelhaft. Aber da bleiben Menschen, die an ihre Stadt glauben, oder diejenigen, die nicht wissen, wohin sie ausreisen sollen, und die, die das das nicht wollen. Mit einem Wort, äußerst motivierte Menschen, die sich mit Charkiw psychologisch zutiefst verbunden fühlen.

Die Zahl der Verteilungsstellen für Hilfsgüter des regionalen Logistikzentrums wächst – neben den Postämtern von privater „Nowa Poschta“ wurden auch einige Ämter der staatlichen „Ukrposchta“ eingesetzt, besonders in den Stadteilen, wo Explosionen dröhnen. So können jetzt Einwohner von Saltiwka, Oleksijiwka und Horizont Hilfe empfangen, ohne 6-8 km zurücklegen zu müssen… Darüber hinaus verteilen auch andere Spender Hilfsgüter. Für die Lieferungen humanitärer Hilfe in die zerstörten Teile von Saltiwka Nord wird Polizei eingesetzt.
Wenigstens eine kleine Gruppe (etwa 2 Tausend Menschen) konnten heute endlich aus Isjum zu evakuiert werden, wo eine humanitäre Katastrophe herrscht: Es gibt in dieser Stadt keinen Strom, kein Wasser, keine Heizung, weder Lebensmittel noch Medikamente; die Innenstadt ist total zerstört (ich war dort vor dem Krieg, und wenn man jetzige Videos sieht, so kommen sogar so einem kaltblutigen Menschen, wir mir, Tränen). Man konnte endlich Lebensmittel, Medizin und das Notwendigste dorthin bringen. Aber Russen wären nicht Russen, wenn sie die Stadt und die Evakuierungskolonne nicht mehrfach beschossen hätten. Zum Glück gab es keine Opfer.

Für die zerstörte russische Ausrüstungsplattform bei Balaklija rächten sich die Moskowiter auf ihre Weise – sie schossen auf Wohngebiete, wodurch in einem Hochhaus Feuer ausbrach. Die Invasoren führten auch einen Luftangriff auf die Siedlung Sloboschanske in der Stadtgemeinde Balaklija durch – ein Haus ist zerstört, mehrere Häuser sind beschädigt, vier Tote, darunter zwei Kinder. Ein 5-jähriges Mädchen überlebte auf wundersame Weise. Das Moskaupöbel beschoss auch die Siedlung Solotschiw (an der russischen Grenze; eine der Richtungen, von wo sie vor kurzem zurückgedrängt wurden). Zerstört sind einige Häuser und eine Kirche, ein Mensch ist tot, zwei Personen sind verwundet. In der Siedlung Selektsijne (bei Merefa) kam ein Mensch beim Luftangriff ums Leben – da wurden international verbotene Schüttbomben geworfen. Kurz und gut, mehrere Teile der Region Charkiw sind jetzt zu gefährdeten Beschussgebieten geworden. Eine traurige Geschichte und eine traurige Statistik… Laut Polizeiberichten haben die Schweinehunde in der Region Charkiw nach dem Stand zum 10. März 2022 insgesamt 191 Zivilisten getötet, darunter elf Kinder… Wir werden das weder vergessen, noch vergeben. Wir zahlen es heim!

Die schwierigste Lage von allen ukrainischen Städten ist in Mariupol, das von Russen umzingelt ist. Die Stadt wird planmäßig mit allerlei Artillerie und Luftwaffe dem Boden gleichgemacht, ihre friedliche Bevölkerung wird vernichtet. Die Terroristen lassen es nicht zu, dass Menschen von dort evakuiert oder Lebensmittel dorthin gebracht werden. In der Stadt ist eine humanitäre Katastrophe ausgebrochen. Der „Raschismus“ ist schlimmer als der Nazismus. Sie tun das, um die Stadt, die sie 2014 nicht erobern konnten, einzunehmen, um wenigstens irgendeinen Sieg zu melden. Oder sie handeln nach dem alten russischen Moto: „Wenn du nicht mir gehörst, so sollst du niemandem gehören“, und machen Mariupol dem Boden gleich, dass keine Spur davon bleibt…
Trotz des Drucks seitens Invasoren dauern die Proteste in den besetzten Städten an. Cherson und Melitopol – ihr seid die besten!! Nach Melitopol wurden übrigens Säufer aus den sogenannten „völkischen“ Republiken Donezk und Luhansk gebracht, wie es heißt, „zum Schutze von Recht und Ordnung“. Na klar ….

Und der Darwin-Preis erhalten heute russische Piloten, die Korosten bombardiert und dabei weißrussische LKWs zertrümmert haben. Zwei weißrussische LKW-Fahrer wurden durch Moskauer Bomben getötet. Das „friendly fire“ der ruSSischen Welt schlägt gnaden- und wahllos.

Wir übergehen zum langwierigen Krieg, bei dem es wichtig ist, psychologische Widerstandsfähigkeit zu behalten und für die Wirtschaft zu arbeiten. Wenn Sie die Möglichkeit haben zu arbeiten, sollen Sie das tun, das ist sehr wichtig für die Wirtschaft unseres Landes.

Ich danke den Ukrainischen Streitkräften, der Ukrainischen Nationalgarde, Territorialverteidigung, den Freiwilligen, Medizinern, Rettern und Mitarbeitern kommunaler Versorgungsunternehmer. Wir vertrauen und helfen unseren Armee, haben Selbstvertrauen und tun unser Bestes für den Sieg über dem Moskaupöbel! Alles wird Ukraine!

Serhij Petrow

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історик, аналітик Інформаційного Центру "Майдан Моніторинг" (сайт "Майдан"), громадський активіст, редактор української Вікіпедії