Charkiw. Chronik des Angriffs auf die Stadt, der 32. Tag (27.03.2022)

Nach einigen richtigen Frühlingstagen ist heute wieder kühler geworden. Es ist sehr windig und ab und zu schneit es, eigentlich nicht mit Schneeflocken, sondern mit Schneegraupe. Das Wetter ist, mit einem Wort, unangenehm. Bei solchem Wetter werden die Fínger sehr schnell steif vor Kälte.

Der späte Abend und die Nacht waren nicht ruhig. Ein heißer Punkt war das Nördliche Saltiwka und auch ein anderer Teil von Saltiwka, unter anderem das Östliche Saltiwka. Unruhig war es im Stadtteil Charkiwer Traktorenwerk und im Teil Neue Häuser. Die Siedlungen Schukowskyj und der nördliche Charkiwer Stadtrand wurden nicht mäßig beschossen.

Auf dem Bild: Eine der zerstörten Charkiwer Schulen. Bildautorin: Natalia Subar, CC BY-SA 4.0.
Auf dem Bild: Eine der zerstörten Charkiwer Schulen. Bildautorin: Natalia Subar, CC BY-SA 4.0.

Am Morgen gab es Beschuss, der nicht mehr so intensiv war. Saltiwka und Charkiwer Traktorenwerk wurden wieder beschossen. Der Tag und der frühe Abend waren dann ruhig. Der Beschuss, den es immerhin gab, war wellenhaft und es gab ziemlich lange Ruhepausen. Am Abend kam es wiederum zur Beschussaktivierung, nach der Intensität ungefähr auf dem Niveau des Morgens. Saltiwka, Horizont, Rohan, Charkiwer Traktorenwerk, sowie die Siedlung Dokutschajewske standen unter Beschuss. Außerdem wurden, neben Schytomyr, Lutsk, Riwne, auch auf Charkiw Raketen abgefeuert. Eine genauere Information kommt später.

Infolge des nächtlichen Beschusses gab es Treffer in Saltiwka, in einer der Stadtschulen wurde das Dach zerschmettert. In einer Schule mit moskowitischer Unterrichtssprache übrigens. Ein Gruß sozusagen – für die „ruSSische Welt“ von der „ruSSischen Welt“. Und so etwas passiert in Charkiw nicht zum ersten Mal, es ist bereits zur Routine geworden. So wird Charkiw in die zweite „Banderstadt“ nach Lwiw verwandelt. Insgesamt wurden in Charkiw 80 Schulen und 58 Kindergärten beschädigt.

Der starke Wind zerstört die beschädigten Gebäude noch mehr. Nach der Wettervorhersage wird der Regen weiter dauern. Das bedeutet noch mehr Zerstörungen in den bereits beschädigten Häusern. Noch ein Problem sind durchlöcherte Dächer, was nicht immer leicht festzustellen ist, deshalb werden die Hauswände immer nasser und infolge dessen nehmen die Zerstörungen zusätzlich zu. In mehreren Häusern sind Wasserleitungen beschädigt, so dass das Wasser daraus die Haussubstanz ruiniert…

Nach meiner Einschätzung verließen die Stadt 50-60 % der Stadteinwohner. Diese Angaben werden mit der Zahl der Menschen in Warteschlangen vor den Geschäften und Apotheken korreliert. Das bedeutet, das in Wirklichkeit sind in der Stadt nicht mehr als 700 Tausend Menschen geblieben (vor dem Krieg lebten in Charkiw 1,6-1,7 Mio., auch wenn die offizielle Zahl 1,45 Mio. war). Die Stadtverwaltung spricht über 70% der zurückgebliebenen Stadtbevölkerung, aber diese Zahl ist zu optimistisch und nicht sehr realistisch (sogar von meinem Bekanntenkreis verließ mindestens die Hälfte die Stadt, vor allem die, die sich nicht engagiert haben). Auch wenn sie nur irgendwo im Charkiwer Gebiet Zuflucht gefunden haben, sind sie jedenfalls nicht in der Stadt Charkiw. Natürlich hocken mehrere in Hauskellern, das ist vor allem im beschossenen Vorort der Fall. Das Leben in einem Keller zerstört tatsächlich die Psyche. Um nur ein Beispiel anzuführen: ein Mann fragte uns mit Kollegin Наталія Зубар / Natalia Subar, wie es denn draußen sei, und Natalia antwortet darauf: schön ist es, ruhig, die Sonne scheint, der Frühling beginnt. Der Mann schaute uns ungläubig starr an. Und wenn man die Angaben des Teams Monitoring Majdan liest, kann man verstehen, dass es öfter zu treffen ist. Die in der U-Bahn bzw. in Kellern lebenden Menschen brauchen dringend psychologische Hilfe. Diese Menschen wollen nicht einsehen, dass sie psychologische Probleme haben, aber davon werden die Probleme nicht weg.

Wegen Beschusses gibt es in Saltiwka und einigen anderen Stadtteilen wieder Probleme mit Wasserversorgung. Stadtteile Saltiwka, Charkiwer Traktorenwerk und Neue Häuser werden Wasser nach Stundenplan bekommen, damit die Kommunaldienste die Möglichkeit haben, beschädigte Wasserleitungen zu reparieren.

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історик, аналітик Інформаційного Центру "Майдан Моніторинг" (сайт "Майдан"), громадський активіст, редактор української Вікіпедії