Das war wohl in der letzten Woche der schwierigste Tag für die Stadt. Binnen der letzten vier-sechs Tage gab es Tendenz zur Verringerung des moskowitischen Beschusses. Die Tendenz hielt sich zwar nicht stabil, aber es gab real weniger und vor allem weniger intensiven Beschuss. Heute gab es Verhandlungen und der ganze Tag verlief unter Beschuss- und Raketenschlagbegleitung. Den Charkiwern ist das Vorzeichen längst bekannt: wenn es Verhandlungen gibt, wird Charkiw gnadenlos bombardiert, und dagegen können keine Argumente helfen.
Genauer gesagt ging alles bereits in der Nacht los, gegen 2 Uhr nachts fingen die Moskowiter mit dem Beschuss an. Ab frühen Morgen war die Beschussintensität sehr hoch, sie war wohl die höchste in der vorigen Woche, ja in den letzten zehn Tagen. Besonders aktiv wurde die Nord-Saltiwka und die nummerierten Mikroquartiere in Saltiwka beschossen. Auch Ost-Saltiwka, die Straßen rund um das Saltiwske Chaussee wurden beschossen. Man konnte hier einige Treffer fixieren – einige Häuser und Autos sind geschädigt. Ein Geschoss hätte beinahe die Kirche des Moskauer Patriarchats in der Ukraine auf dem Gelände des Medizinkomplexes im Mikroquartier 602 getroffen. Die Kirche befindet sich sehr nah an das Stadtzentrum für Neugeborene (das 4. Geburtskrankenhaus). Geburtskrankenhäuser sind ein begehrtes Ziel für die Moskowiter, wie auch Kirchen des Moskauer Patriarchats. Einige Geschosse flogen über das private Wohnviertel im Stadtteil Nemyschla. Ich war dort gerade mit einer Aufgabe persönlich, die mit der nationalen Sicherheit verbunden war. Es schlug einige Straßen von mir entfernt, wo genau, kann ich nicht sagen. Das habe ich mit eigenen Augen gesehen. Es gab auch andere Beschussfälle in Nemyschla.
Auch Horizont, Rohan, Charkiwer Traktorenwerk und Neue Wohnhäuser standen unter starkem Beschuss. Schaden erlitten einige Häuser und Autos, sowie das Charkiwer Gasbrennschneidewerk. Einzelne Geschosse kamen bis nach Oleksijiwka, Pawlowe Pole, Pjatychatky, Schukowski-Siedlung, Charkiwer Nationale Universität für Luft- und Raumfahrt und bis Cholodna Hora. Auch wurde der Deliriumpark – offiziell als Gorki-Park bekannt – das Lieblingskind des ehemaligen Stadtbürgermeisters Kernes, mit moskowitischen Geschenken beschert. 2010 wurden hier die Protestteilnehmer_innen gegen die Todesstraße (durch den Friedhof der deutschen Wehrsoldaten aus dem Zweiten Weltkrieg) und massives Baumfällen vom Kernes’ Gesindel brutal geschlagen. Den Park betrete ich grundsätzlich nicht mehr, aber der Beschuss des Parks freut mich natürlich nicht…
Es gab einige Raketenanschläge des Russenpöbels auf die Stadtmitte, die die Gebäude in der Swobody-Straße und in der Myronosytska-Straße beschädigt haben. In zwei nächstliegenden Gebäuden in diesem Viertel hat die Stoßwelle alle Fenster ausgeschlagen. In der Swobody-Straße 8 wurde ein Wohnhaus aus dem Jahr 1911 zerstört. Das im Jugendstil gebaute Haus gehörte zu Baudenkmälern der Stadt. Da der ganze Zentralteil des Gebäudes und die Tragebalken zerstört sind, ist das Baudenkmal offensichtlich kaum wiederherzustellen. Zwei Personen kamen unter Haustrümmern ums Leben. Laut der neusten Information muss es um einen Schlag aus 9K720 „Iskander“ vom russischen Territorium gehen. Die Moskowiter verwandeln das Zentrum der Stadt zu Staub…
Der Beschuss war hart bis etwa vier Uhr Nachmittag, dann wurde es allmählich ruhiger und nach 18 Uhr hatten wir endlich ein paar Ruhestunden. Die Verhandlungen sind wohl zu Ende gegangen. Auch die Munition, die für den Tag vorgesehen war, ist wohl alle. Der Abend beginnt allerdings schon wieder mit ziemlich aktiver Beschussbegleitung in unterschiedlichen Stadtvierteln. Im Stadtviertel Lewada gab es einen Treffer. Ach ja, morgen sollen ja die Verhandlungen fortgesetzt werden …
Der Stadtrat informiert, dass durch Beschuss etwa 600 Häuser beschädigt sind. Viele davon sind komplett zerstört oder müssen jetzt abgerissen werden, wie etwa die komplett zerstörten Häuser oder halbzerstörten Hochhäuser. In einem Teil der Stadtbezirke, die sich unter Dauerbeschuss befinden, gibt es keinen Strom und unter den Beschussbedingungen keine Möglichkeit, die Elektrizitätssysteme zu reparieren. So wird es höchstwahrscheinlich bis Ende des Krieges bleiben… In etwa 550 Wohnhäusern wird die Heizung erst nach dem Kriegsende funktionieren.
Leider hat uns der heutige Tag wiederholt gezeigt, dass kein Stadtviertel sich in Sicherheit wähnen kann. Deshalb bleiben in der Stadt entweder jene, die kämpfen, freiwillige Hilfe leisten, arbeiten, etwas Nützliches machen oder solche, die einfach nicht wissen, wohin sie auswandern können bzw. durch einige persönliche Gründe das nicht machen, aber auch solche, die es beschlossen haben, hier bis zum Ende zu bleiben, weil Charkiw ihr Zuhause ist. Ich möchte nicht pathetisch werden, aber es stimmt ja, dass es Menschen bleiben, die Charkiw nie preisgeben werden!
Es gibt aber auch positive Momente – das Netz der Punkte, wo humanitäre Hilfe vom Gebietszentrum für Logistik verteilt wird, erweitert sich immer mehr, vor allem durch immer neue Postabteilungen. Immer mehr Stadtviertel und Vororte werden durch dieses Netz gedeckt, auch die, die sich in beschossenen Orten befinden.
Die Einwohner Charkiws passen aufmerksam auf, dass keine Fremden Fotos in ihren Vierteln machen. Es gibt Verbindungen von unten – ganze Innenhöfe vereinen sich. die Stimmung ist nicht verzweifelt, Menschen sind auf die Invasen wütend. Sehr wütend. Man dürfte ihnen keine Gefangenen geben bzw. zeigen, weil die von Charkiwern mit bloßen Händen zerrissen würden. Charkiw hält sich standhaft!
Der Beschuss dauerte in Derhatschi und Tschuhujiw. In Derhatschi gibt es mehrere beschädigte Privathäuser und administrative Gebäude. Die Gemeinde in Derhatschi hat Probleme mit Stromversorgung, die Menschen werden gebeten, den Strom sparsam zu benutzen, damit die beschädigten elektrischen Kabel die Belastung aushalten. Durch Beschuss kam ein 15-jähriges Mädchen ums Leben. In Tschuhujiw dagegen wurde ein ganz und gar militärisches Objekt beschossen, nämlich ein Kindergarten und das anliegende Territorium, wodurch ein 15-jähriger Junge getötet wurde.
Am kompliziertesten ist die Lage in Isjum, weil eine humanitäre Hilfe hinzubringen oder Menschen von dort zu evakuieren unmöglich ist. Die Kämpfe dauern weiter, die Moskowiter haben versucht, den Fluss Siwerskyj Donetz zu überqueren, bekamen aber von uns einen gebührenden Widestand. Alle Höhen in Kremenetz gehören uns und das erlaubt uns, den Feind über Dutzende Kilometer zu sehen. Bei Isjum wurde auch ein Minibus mit Passagieren erschossen.
Es gelang heute, unter dem Beschuss der Moskowiter humanitäre Hilfe nach Balaklija zu liefern. Die Hilfe wurde heute an Menschen verteilt. Die Gebietsverwaltung unternimmt Versuche, auch in andere Gebietsstädte und –dörfer, besonders jene nördlich von Charkiw, humanitäre Hilfe zuzustellen. Das gelingt nicht überall. Aber in die Siedlungen, die zur Stadtgemeinde Derhatschi gehören, außer Kosatscha Lopanj und Grenzorte, wo die von ukrainischen Streitkräften zurückgedrängten moskowitischen Truppen stationiert sind, ist es schon gelungen. Und das ist sehr gut!
Die Situation in Dörfern nördlich von Tsyrkuny ist schwierig. Es gibt dort große Probleme mit Lebensmitteln, die Menschen leiden unter Hunger, einige sammeln Essensreste des Russenpöbels, um irgendwie am Leben zu bleiben. Bekannt sind Fälle des Abtransportierens der Bewohner dieser Dörfer nach Bjelgorod (eine quasi-Evakuierung nach Schweinehundsland). Von dort kommen nur sehr spärliche Informationen, weil die Menschen von dort nicht rausgelassen werden und eine stabile Verbindung fehlt dort dazu. Ich weiß nicht, wie ich diese Schrecken und die Handlungen der Raschisten kommentieren soll. Es ist alles in der Tat viel schlimmer als das, was Nazis getan hatten. Raschismus muss im Kriegsgericht und in der ganzen Welt verurteilt werden!
Außerdem vernichten Moskowiter die landwirtschaftlichen Maschinen, besonders oft tun sie das im Charkiw-Gebiet. Damit wir nach dem Sieg unsere Landwirtschaft nicht weiterbetreiben können. Das ist allen bekannte Taktik der ausgebrannten Erde, nichts originelles. Zu etwas anderem sind sie einfach nicht fähig.
Die Invasoren zerschmetterten mehrere wertvolle Gegenstände im Popow-Palast im Dorf Wasyliwka im Saporischschja-Gebiet , einen Teil der wertvollen Sachen haben sie ausgeraubt, zum Beispiel die Marmortoilette aus dem 19. Jh. Diese Toilette war schon einmal gestohlen worden – von den Bolschewiken während ihrer Intervention in die Ukraine, später wurde allerdings dieser museale Gegenstand zurückgegeben. Mit einem Wort: die Zeiten vergehen, aber die Mentalität der Horde ändert sich nicht.
Proteste in den besetzten Städten des Cherson-Gebiets und Saporischschja dauern, trotz der Repressalien der moskowitischer Truppen, weiter. Trotz Kidnapping der Aktivisten protestieren die Städte Berdjansk, Melitopol, Cherson und Neues Kachowka. Der entführte Bürgermeister Melitopols Iwan Fedorow wurde nach Luhansk gebracht, in Berdjansk verschwand inzwischen der Pope der Ukrainischen Orthodoxen Kirche Oleh Nikolajew. Ich bin allen dankbar, die den Widerstand den Besatzern leisten, ungeachtet der Folgen!
Und der Darwin–Preis geht wieder an die NATO–Flab, vor allem an die rumänische Flugabwehr, die die moskowitische Drohne „Orlan-10“ nicht bemerkte und sie in Rumänien 100 km reinfliegen ließ. Die Moskowiter scheinen die NATO-Abwehrfähigkeit abzutasten für eventuelle Aufklärung und Raketenschläge. Bisher gibt die NATO-Sicherheit Anlass zu ernsthafter Besorgnis …
Ich gratuliere unserem Militär und unseren Verteidigern zum Tag des Freiwilligen! Ich danke Ihnen für alles, was Sie für die Beschützung der Ukraine tun!
Ich danke den Streitkräften der Ukraine, der Nationalgarde der Ukraine, der Territorialverteidigung, Freiwilligen und Medizinern, dem Rettungs- und Kommunaldienst für noch einen Lebenstag. Wir helfen unserer Armee und unterstützen einander.
Wir glauben an unsere Kräfte, an Menschen und an die Ukraine!