Charkiw. Chronik des Angriffs auf die Stadt, der 52. Tag (16.04.2022)

Charkiw hatte heute schon wieder einen schwierigen Tag. Es wurde mit der Lenkrakete „Kalibr“ auf die Stadt gefeuert, was neue Menschenopfer forderte. Außerdem wurde ein Wohnviertel beschossen. Das alles geschah ungeachtet dessen, dass die Quantität der Artilleriebeschüsse heute bedeutend niedriger als die gestrige war..

Die Anzahl der moskowitischen Granaten war heute überraschenderweise deutlich niedriger als gestern. In mehreren Stadtteilen herrschte längere, ungewöhnliche Stille. Raschisten waren morgens und abends aktiv, dafür war es aber tagsüber ruhig. Verschiedene Bezirke in Saltiwka wurden beschossen, sowie Vororte in Pjatychatky, die Siedlung Schukowski, Oleksijiwka und Charkiwer Traktorenwerk.

Auf dem Bild: Hauptverwaltung des Staatlichen Dienstes der Ukraine für außerordentliche Situationen im Charkiwer Gebiet, CC BY 4.0.
Auf dem Bild: Hauptverwaltung des Staatlichen Dienstes der Ukraine für außerordentliche Situationen im Charkiwer Gebiet, CC BY 4.0.

Am späten Vormittag wurde eine Rakete „Kalibr“ in Richtung Kinnyj-Rynok abgefeuert. Dieser Markt ist ein ziemlich belebter Ort; zur Zeit des unerwarteten Anschlags gab es dort gerade mehrere Menschen, die Schlangen vor Verkaufsbuden und Apotheken standen. Beschädigt sind Wohnhäuser, der Markt selbst, mehrere Personenwagen usw. Zwei Personen kamen ums Leben. Die Zahl der Verwundeten ist nach Angaben der Staatsanwaltschaft 18 Personen und der Charkiwer Bürgermeister Terechow nennt die Zahl 32 Personen. Am Abend beschossen die Invasoren das Charkiwer Traktorenwerk – ein Brand brach aus, eine Person kam dabei ums Leben, zwei Personen wurden verwundet. Und dann zum guten Letzt wurde bekannt, dass bei der Minenräumung nicht weit von Charkiw drei Minenräumer durch die Explosion einer Streumunition umkamen und vier weitere Personen schwer verletzt wurden. Die Nachrichten sind überaus traurig. Daraus müsste man einen Schluss ziehen, dass es wohl noch lange gefährlich sein wird, die ungetesteten Wege in den Gegenden zu begehen, wo aktive Kämpfe geführt wurden.

Sowohl gestern als auch heute ging der Luftalarm praktisch alle 30 Minuten los. Man hat bereits darüber gescherzt, dass es einen Sinn mache, die Notunterkünfte den ganzen Tag durch nicht zu verlassen. Darauf reagiert niemand mehr wirklich aufgeregt, aber eine solche Intensität der Luftalarme in der Stadt und im gesamten Gebiet lässt an mehreres denken…

In der Vorstadtzone gab es Beschuss der Stadt Derhatschi und anderer Siedlungen der Derhatschi-Gemeinde. Auch in Tschuhujiw-Richtung war es unruhig. In Tschuhujiw selbst wurden etwa 40 größere Wohnhäuser und etwa 300 Einfamilienhäuser beschädigt.

Gleichzeitig gibt es auch gute Nachrichten. Die Journalist:innen des TV-Senders TSN berichten, dass aus den hinter der Ringstraße seitens des Nord-Saltiwka liegenden Dörfern Bobriwka und Bajrak die Besatzer vertrieben wurden. In jener Gegend gab es eine geheime Militäreinheit, die noch am ersten Tag durch Raketenangriffe zerstört wurde (ok, nicht komplett geheim, davon wurde eigentlich mehreren bekannt – dort befand sich ja der Kommandoposten der Luftverteidigung).

Seit einigen Tagen bereits funktionieren schon wieder auf den Hauptstraßen und auf wichtigen Straßenkreuzungen Straßenampeln. Sowohl Fahrer als auch Fußgänger müssen sich aufs Neue daran gewöhnen, weil während der letzten sieben Wochen, als es keine Ampeln mehr funktionierten, hat man sich etwas entwöhnt.

Im Charkiwer Gebiet dauern Kämpfe bei Isjum und auf der Barwinkowe-Richtung weiter. Die Dorfgemeinde Boriw im Charkiwer Gebiet ist heute komplett besetzt worden, so dass es dort an Lebensmitteln mangelt, keine Telefonverbindung gibt, Plünderungen und Gewalt an den Einwohnern dauern. Das Gelände zu verlassen in Richtung ukrainisches Territorium ist unmöglich. Aus Isjum wurden über 50 Einwohner nach Kupjansk und von dort nach moskowien verschleppt. Das wurde in moskowitischen Medien sofort mit propagandistischen Zielen gezeigt.

Gleichzeitig werden die Einwohner der Städte Barwinkowe und Losowa weiter evakuiert. Die Stadt Losowa wurde bereits von zwei Dritteln der Einwohner verlassen.

In der Operationszone der Bereinten Kräfte (OOS) dauern schwerste Kämpfe: an der Nordflanke um Rubischne und Popasna, im Zentralteil – um Awdijiwka und Marjinka, und im südlichen Teil bei Wugledar und Welyki Nowosilky. In Mariupol fordern die moskowiter Kapitulation der ukrainischen Verteidiger. Die Antwort der Ukrainer ist negativ.

Die moskowiter feuerten auf die seit längerer Zeit stillgelegte Ölraffinerie in Lysytschansk. Der Ölschlamm hat aber Feuer gefangen, es brennt dort.

Die Nacht von Freitag auf Samstag war in der Ukraine keine ruhige – Raketenangriffe gab es auf Kyjiw, Poltawa, Lwiw und andere ukrainische Städte. Das alles sieht wirklich nach Rache für den Kreuzer „Moskwa“ aus, die moskowiter, wie es scheint, werden noch einige Tage wüten. Passen Sie auf sich auf.

Einen „Knall“ gab es im durch raschisten okkupierten Tokmak in Saporischschja-Gebiet. Nach dem Knall verschwanden Soldaten, die die Munition aus den Eisenbahnwagen entluden. Offenbar traf dasselbe Schicksal auch die Munition. Jemand hat wohl schon wieder an einer falschen Stelle sich Rauchpause gegönnt, ähnlich wie es auf dem Kreuzer „Moskwa“ war. In Enerhodar haben die moskowiter die gelb-blaue Stela an der Einfahrt in die Stadt mit ihren drei Farben übermalt. Da kann man sehen, dass die Symbolik für sie eine Rolle spielt. Für die gibt es schon einen Unterschied, was für Flagge da hängt, welche Sprache da lautet und welches Schulprogramm in der Geschichte verwendet wird.

In der Region Sumy hat man im Dorf Bilky, das zur Stadtgemeinde Trostjanets gehört, Überreste der Chemiewaffe entdeckt. Die wurden von den Besatzern bei ihrer Flucht aus der Ukraine dort gelassen. Das heißt: die Frage des massenhaften Einsatzes der Chemiewaffe stand bei den raschisten auf der Tagesordnung. Jetzt ist es eine Tatsache.

In Cherson wird, nach der Information von der ukrainischen Ombudsfrau Denisowa eine Volksumfrage für Anfang Mai wegen der separatistischen Chersoner Volksrepublik vorbereitet.

Am 15. April starb im Sewastopoler Krankenhaus der Kommandant des großen Landungsschiffes „Saratow“ Wladimir Chromtschenkow. Das Schiff wurde am 24. März mit der Rakete „Totschka U“ im Hafen Berdjansk versenkt. Chromtschenkow war ein Verräter. Im März 2014 übergab er den moskowitern das große Landungsschiff der ukrainischen Marinekräfte „Kirowohrad“. Seine Ausrede war, die ukrainischen Kommandeure hätten ihn nicht kontaktiert, was eine Lüge war. So hat er seine Militärkarriere an der Seite der raschisten fortgesetzt. Aber die Vergeltung kam zum Verräter angeflogen und stellte eine Totschka, d.h. einen Punkt in seinem Leben.

Den heutigen Darwin-Preis bekommen jene moskowiter, die im Saporischschja Gebiet bei den lokalen Einwohnern eine Kläranlage für die Latrinen wegnahmen, weil sie dachten, es sei ein Tankwagen. Wahrscheinlich haben sie eine solche Technik zum ersten Mal gesehen. Wir wissen nicht genau, ob die Besatzer ihre Kampfmaschinen mit Scheiße getankt hatten, ihre Zeichen haben sie auf diese Wundertechnik jedenfalls aufgetragen.

Wir glauben an die Verteidigungskräfte der Ukraine und der Stadt Charkiw und helfen ihnen! Unterstützen wir Freiwillige, Mediziner:innen, Retter:innen und Mitarbeiter:innen der Kommunaldienste. Unterstützen wir einander, auch wenn nur ein herzliches Wort sein sollte! Und nicht vergessen: wir glauben an die Ukraine!

Serhij Petrow

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історик, аналітик Інформаційного Центру "Майдан Моніторинг" (сайт "Майдан"), громадський активіст, редактор української Вікіпедії