Charkiw. Chronik des Angriffs auf die Stadt, der 23. Tag (18.03.2022)

Noch ein Tag des Moskowiterangriffs auf die Stadt unterschied sich kaum vor dem Vortag, wenigstens was die Intensität des Beschusses anbetraff. Ich weiß nicht mal, wie ich das beschreiben soll – ob es gut ist oder schlecht. Aber irgendwie so ist es …

Das Gebäude der Karasin-Universität am Moskowskyj-Prospekt 75. Foto: Natalija Subar, IZ “Majdan Monitoring”

Das Gebäude der Karasin-Universität am Moskowskyj-Prospekt 75. Foto: Natalija Subar, IZ “Majdan Monitoring”

Die Nacht war relativ ruhig, es gab keinen besonders intensiven Beschuss. Am Morgen wurde wieder geschossen. Nach 8 Uhr morgens wurde ein Gebäude der Karasin-Universität in Sacharkiw getroffen – die ehemalige Akademie der Staatsverwaltung am Präsidenten der Ukraine (ja, jetzt ist es tatsächlich eine Filiale der Karasin-Uni). Man hat den Eindruck, dass die Moskowiter alle Gebäude der Karasin-Universität zerstören wollen – regelmäßig und systematisch. Das ist ein Sparren bei denen im Kopf. Es wurde auch ein Wohnhaus in der Nähe zerstört. Leider ist ein Mensch umgekommen, zwei Personen wurden gerettet, dabei ein Mann wurde halbtot aus den Ruinen der Bildungseinrichtung erst gegen Abend geborgen, nach dem man den ganzen Tag die Verschüttung beseitigt hatte. Das ist wirklich ein Erfolg unserer Retter!

Die ganze vorige Nacht und auch noch zum Teil am Tage dauerte die Beseitigung der Brandfolgen auf dem Markt Barabaschowo an. Der Markt ist total abgebrannt. Das Feuer beschädigte auch einige Wohnhäuser in der Nähe, aber dank der Feuerwehr wurde die Verbreitung des Brandes auf naheliegende Einfamilienhäuser verhindert. Viele Kleinunternehmen sind zerstört, nun werden die Menschen nach dem Krieg alles von Anfang an beginnen müssen…

Der Tag war im Großen und Ganzen ruhig, aber am Abend wurden die Orcs wieder aktiv. Man kann den Beschuss nicht besonders intensiv nennen, es war mehr oder weniger wie gestern. Aber der Luftalarm erklang ziemlich häufig. Beschossen wurden Saltiwka, Oleksijiwka, Pawlowe Pole, Rohan und Traktorwerk. Der Beschuss war ziemlich chaotisch. Getroffen wurden auch Derhatschi und Tschulijiw.

Die Stadt gewöhnt sich allmählich an solche Lebensbedingungen, aber auf den Straßen sind wirklich wenig Menschen zu sehen. Offensichtlich geht niemand ohne großen Bedarf aus. Zugleich öffnen manche Geschäfte und Dienstleistungen – immer mehr Apotheken, manche Schönheitssalons, denn auch während des Krieges muss man sich frisieren lassen und die Nägel pflegen.

Laut den Angaben der Stadtverwaltung wurden über 700 Häuser vom Beschuss beschädigt: von leichten Beschädigungen wie beispielsweise ausgeschlagene Fensterscheiben bis zur partiellen oder kompletten Zerstörung.

Am schwierigsten ist die Lage in Isjum, wo die Kämpfe fortgesetzt werden. Freilich werden dort von Raschisten bereits Trainingseinheiten eingesetzt. Es läuft wohl schwer mit der Infanterie bei denen… Im Beschuss eines Dorfes bei Isjum kam eine vierköpfige Familie ums Leben, darunter ein Kind. Auch humanitäre Situation in der Stadt ist schwierig. Unsere Soldaten und Freiwillige haben es möglich gemacht, dass einiges von der humanitären Hilfe in die Stadt doch geliefert wurde. In der Nähe der Stadt werden Zentren eingerichtet, von wo die Hilfe in die Stadt geleitet wird. Eine kleine Gruppe Menschen konnte nach Slowjansk evakuiert werden.


Die besetzten Dörfer nördlich von Charkiw und Derhatschi sind durch Blockade komplett lahmgelegt und die Menschen sind gezwungen nach drüben, also nach russland zu fahren oder humanitäre Hilfe von Orks entgegenzunehmen, die diese Hilfe demonstrativ verteilen. In die leerstehenden Häuser ziehen Raschisten ein und plündern die Häuser aus. Da es keine humanitären Korridore gibt, können die humanitären Frachten nicht in die Stadt gebracht werden. Auch nach Balaklija und in einige von Russen besetzte Kleinstädte im Nordwesten des Charkiwer Gebiets ist es unmöglich, die humanitären Güter zu liefern.

Heute wurde der Vorsitzende der Dorfgemeinde Welykyj Burluk Wiktor Tereschtschenko aus der Gefangenschaft befreit. Er befindet sich in Sicherheit, in einem Krankenhaus, und kommentiert das Ganze noch nicht. Seine Befreiung ist eine gute Nachricht!

Im Großen und Ganzen gab es heute keine aktiven Kämpfe. Seit einigen Tagen hört man im Himmel über Charkiw keine Flugzeuge – keiner will, wie es scheint, gebraten werden oder ohne Fallschirm runterstürzen. Es gibt ja in der Stadt Abwehrmittel gegen die Moskowiter. Auch der klare Himmel lässt die Flugzeuge sofort bemerken Bei Isjum haben die Unseren die feindlichen Flugversuche mit treffsicheren Schüssen wiederholt gestoppt.

Zu allen guten Nachrichten noch die, dass in Charkiw die Entkolonialisierung beginnt. So hat Karasin-Universität dem Rektor der Moskauer Universität Wiktor Sadownitschij, der im Dorf Krasnopawliwka im Losowa-Bezierk geboren wurde, den Ehrentitel Professor honoris causa abgenommen. Auch hat der Bezirksrat in Losowa den Ehrenbürgertitel von Herrn Sadownitschij abgeschafft. Und das russische dramatische puschkin-Theater in Charkiw bittet um die Entfernung des Attributs „russisch“ aus seinem Namen. Für eine komplette Entkolonialisierung sollten sie noch puschkin wegschaffen – dann wäre alles perfekt!

Charkiwer Intellektuelle und Aktivist*innen sammeln derzeit Unterschriften unter der Aufforderung an den Charkiwer Bürgermeister Terechow, die Straßennamen in Charkiw zu entkolonialisieren. Die Aufforderung wurde bereits vom Gouverneur des Charkiwer Gebiets Oleh Syniehubow unterstützt. Vor kurzem noch, wie wir wissen, gab es Rufe wie dieser: „Es ist eine falsche Zeit für solche Aktionen!“ Schämen sollt ihr euch! Wir werden den Felsen weiter zerhauen!

Eine äußerst aussagekräftige Aktion fand heute in Lwiw statt. Hier stellte man auf dem Rynok-Platz 109 leere Kinderwagen – das entspricht der Zahl der in der Ukraine seit dem 24. Februar ermordeten Kinder (eine genaue Zahl der toten Kinder in Mariupol und Isjum ist uns leider nicht bekannt).

In den letzten Tagen ist die Situation stabiler geworden und in einem bestimmten Punkt auf die Pause gestellt. Diese Pause ermöglicht es, die Kräfte zu sammeln: sowohl uns, wie auch leider den Raschisten. Wahrscheinlich bleibt die Situation in den nächsten Tagen unverändert. Das ist nicht gut. Das ist nicht schlecht. Es ist wie es ist.

Gottes Helfer und andere Sicherheitsstrukturen funktionieren und entdecken die Hinweisgeber und Verräter. Das ist sehr erfreulich. In Charkiw arbeiten sie gewissenhaft. Mit maximum an menschlichen Kräften und Ressourcen.

Die Stimmung in Charkiw ist recht optimistisch. Verzweiflung gibt es nicht, es gibt Wut und Hass gegen den Russenpöbel. Ehemalige Liebhaber der ruZZischen Welt sind bereit, die Besetzer mit eigenen Händen zu erwürgen. Solche Metamorphosen hat die Stadt in diesen drei Wochen durchgemacht.

Den heutigen Darwin-Preis erhalten heute Moskowiter, die ihre Kriegstechnik schon wieder auf dem Flugplatz Tschornobajiwka (bei Cherson) stationiert haben. Die Technik hat bereits zum fünften (!!!) Mal die ukrainische Artillerie vernichtet. Gleichzeitig mit der Technik wurde auch der Posten der Raschisten vernichtet sowie der Kommandeur der 8. moskauer Armee Andrej Morditschow. Möge die Erde über ihm zubetoniert werden!

Wir helfen unserem Militär, unseren Freiwilligen, Medizinern, Rettungs- und Kommunaldiensten, unterstützen einander und bringen uns immer näher dem Siegestag, weil alles unbedingt Ukraine wird!

Serhij Petrow

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історик, аналітик Інформаційного Центру "Майдан Моніторинг" (сайт "Майдан"), громадський активіст, редактор української Вікіпедії